Allerdings ist es für Wissenschaftler noch immer extrem
schwierig,
genaue Prognosen zum Meeresspiegelanstieg vorzulegen - zumal der längst
nicht überall rund um die Welt gleich stark ausfällt. Der
Weltklimarat
hat in seinem letzten Bericht nur die wärmebedingte Volumenausdehnung
des Ozeanwassers berücksichtigt. Ein Plus von einem Meter bis zum Jahr
2300 ist auf diese Weise zu befürchten. An Versuchen, das Ergebnis zu
präzisieren, hat es seither nicht gemangelt -
doch die Spannbreite der Schätzungen variiert dramatisch.
Ein Team um Michiel Schaeffer vom privaten Forschungsinstitut Climate Analytics in Berlin versucht sich
im Fachmagazin "Nature Climate Change"
nun auch an einer Vorhersage bis ins Jahr 2300. Zum Einsatz kommt dabei
eine semi-empirische Methode. Das heißt, es werden nicht in erster
Linie die physikalischen Prozesse modelliert, die zum Anstieg des
Wassers führen, das
Abschmelzen des Eises in Grönland und
der Antarktis
zum Beispiel. Stattdessen geht das Modell unter Verwendung bisheriger
Beobachtungsdaten davon aus, dass die Pegel ungefähr proportional zur
Größenordnung der
Erderwärmung klettern.
Weil die Forscher naturgemäß nicht wissen, wie stark die Temperatur
in den kommenden Jahrzehnten steigen wird, arbeiten sie
mit
verschiedenen Szenarien. Dabei zeigt sich: Selbst bei einer auf zwei
Grad Celsius begrenzten globalen Erwärmung muss weltweit mit einem
erheblichen Meeresspiegel-Anstieg gerechnet werden. Bis zum Jahr 2100
würden in diesem Szenario im Schnitt 80 Zentimeter dazukommen. Bis zum
Jahr 2300 wären es zwischen anderthalb und vier Meter; der
wahrscheinlichste Wert läge bei einem Plus von 2,7 Metern.
Die Forscher haben auch ausgerechnet, was bei ambitionierteren
Klimazielen passieren würde:
Bei einem Stopp jeglicher CO2-Emissionen im
Jahr 2016 würden die Pegel bis mindestens 2050 mit zunehmendem Tempo
ansteigen und sich dann erst langsam beruhigen. Wenn es gelänge, die
Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, würde der Meeresspiegel der Studie
zufolge bis zum Jahr 2300 um etwa 1,5 Meter ansteigen. Das Problem: Ein Klimaschutzziel von nur 1,5 Grad mehr als vor der
industriellen Revolution ist nach Ansicht vieler Klimaforscher kaum zu
schaffen. Für realistischer halten viele eine Erwärmung um zwei bis drei
Grad. Der "
Climate Action Tracker",
an dem Studienleiter Scheffler ebenfalls mitarbeitet, geht bei den
aktuellen Klimaschutzzusagen der Weltgemeinschaft gar von einem Plus von
3,5 Grad bis zum Jahr 2100 aus.
Eine Temperaturzunahme in dieser Größenordnung würde der neuen Studie
zufolge massive Folgen für den Meeresspiegel haben. Stiegen die
weltweiten Temperaturen um drei Grad, so wäre nach Ansicht der Autoren
bis zum Jahr 2300 mit einem Meeresspiegelanstieg von durchschnittlich
3,5 Metern zu rechnen. Entscheidend an der neuen Studie sind aber nur in zweiter Linie die
genauen Zahlen. Wichtig ist aus Sicht der Forscher der fundamentale
Zusammenhang: "Weil die Eis- und Wassermassen der Welt sehr langsam auf
die globale Erwärmung reagieren, bestimmen unsere heutigen Emissionen
den Meeresspiegel noch für die kommenden Jahrhunderte", sagt Erstautor
Schaeffer. Man müsse noch lange Zeit mit steigenden Wasserpegeln an den
Küsten rechnen
Die neuen Ergebnisse zeigen auch, dass sich auch das
Tempo des
Pegelanstiegs mit höheren Temperaturen beschleunigen wird. "Die Menschen
an den Küsten haben weniger Zeit sich anzupassen, wenn der
Meeresspiegel schneller ansteigt", sagt Co-Autor
Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Die möglichen Folgen eines relativ schnellen Anstiegs wären
erheblich, warnt Rahmstorf. "Für New York City zum Beispiel wurde
gezeigt, dass ein Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter die
Häufigkeit schwerer Überflutungen von einmal pro Jahrhundert auf einmal
alle drei Jahre steigern könnte." Auch niedrig liegende Länder und
Regionen mit ausgedehnten Flussdeltas wie in Bangladesch sowie kleine
Inselstaaten wären aus Sicht des Forschers wohl erheblich betroffen.
Dass die dicht besiedelte Ostküste der USA besonders vom Meeresspiegelanstieg gefährdet ist, zeigt eine zeitgleich
in "Nature Climate Change"
erschienene Studie. Forscher um Abby Sallenger vom Geologischen Dienst
der USA (USGS) hatten dafür Wasserstandsmeldungen aus der Zeit zwischen
1950 und 1979 sowie 1980 und 2009 ausgewertet. Sie kommen zu dem
Schluss, dass die Pegel in dem betroffenen 1000 Kilometer langen
Küstenabschnitt, der auch New York und Washington umfasst, drei- bis
viermal schneller und stärker ansteigen als im weltweiten Durchschnitt.