Montag, 19. September 2011

Öko verändert Reisebranche

Die Reiseunternehmen überbieten sich mit umwelt- und sozialverträglichen Programmen. Doch was die schmucken Zertifikate und Emblems wirklich bedeuten, wird nicht immer deutlich. Die Nachfrage bei Urlaubern steigt trotzdem deutlich an - ein Befund, der nicht nur für Deutschland zu gelten scheint.

Ein kleiner roter Punkt soll in Deutschland den Unterschied machen. Er ist etwa so groß wie der grüne Punkt und ihm auch sonst ziemlich ähnlich. " CSR Tourism Certified" steht darauf. 54 vor allem kleinere Reiseveranstalter wurden bislang mit diesem Siegel für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit im Tourismus ausgezeichnet. Vergeben wird das Emblem von der Kontaktstelle für Umwelt und Entwicklung ( KATE) und EED-Tourism Watch. Seitdem prangt es wie rund ein Dutzend anderer Qualitäts- und Umweltsiegel auf den Katalogen von Veranstaltern und an Schaufenstern.

Auch Kurzreisen - wie im Bild zur Alpendestination Säntis-Schwägalp - unterliegen ökologischen Überlegungen. Für Fernreisen sind sie allerdings wegen des Transportaufwands ungleich wichtiger (Bild: Guntram Rehsche).








Reiseunternehmen, Hotelketten und andere touristische Dienstleister überbieten sich dieser Tage mit ihren guten Taten für Mensch und Natur. Sie sammeln Spenden für Klimaschutzorganisationen wie Atmosfair und My Climate, sie machen mit bei Initiativen wie Fair Travel, sie geben Öko-Kataloge heraus wie TUIs Internetprospekte "Grüne Welten", und sie arbeiten in einem Energiesparbüro wie FTI. Einige, wie Studiosus und Gebeco, ließen sich bereits komplett auf Nachhaltigkeit prüfen. Andere machen mit bei branchenweiten Initiativen wie Futouris, einer 2009 gegründeten Nachhaltigkeitsinitiative.

Nachhaltigkeit ist in. Man engagiert sich. Kein Wunder, schließlich lebt die Reiseindustrie von der heilen Welt. Bei Spezialveranstaltern gehört der enge Kontakt zur Natur zum Kerngeschäft. Sie sind es denn auch in erster Linie, die sich engagieren. Der Boom lässt sich sogar an Zahlen festmachen: Die im Forum Anders Reisen zusammengeschlossenen 139 nachhaltig arbeitenden Veranstalter legten im vergangenen Jahr um elf Prozent zu - der Schnitt der Gesamtbranche lag laut Fachzeitschrift FVW bei 1,2 Prozent.

Auch die Großen sind dabei. "Urlaub und Umwelt gehören untrennbar zusammen", sagt Thomas-Cook-Chef Peter Fankhauser. "Das erste Bedürfnis der Menschen ist zu reisen, das zweite der Wunsch, dabei eine intakte Umwelt zu erleben." Dabei bleibt der Begriff der Nachhaltigkeit oft schwammig. An eine Definition wagt sich immerhin Johannes Reißland vom Forum Anders Reisen: "Nachhaltig sind Reisen, die ökologisch tragbar, wirtschaftlich fair und sozial verträglich sind." Für die Ferienreisenden scheint das Thema jedenfalls immer wichtiger zu werden. Eine Untersuchung der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) und des WWF Deutschland ergab, dass acht Prozent schon jetzt bewusst Reisen buchten, die Umweltstandards berücksichtigen. In Zukunft wollen dies 20 Prozent tun.

Aber: "Für Urlauber ist Nachhaltigkeit zunächst zweitrangig, man fährt ja nicht in den Urlaub, um nachhaltig zu sein", sagt Martin Lohmann, der die Daten für die alljährliche Reiseanalyse der FUR erhebt. "Zunächst im Vordergrund stehen Motive wie in die Sonne kommen, entspannen, mit der Familie zusammen sein." Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit achten, könnten immerhin ihr Engagement zu einem Wettbewerbsvorteil machen. Das weiß auch Ury Steinweg, Geschäftsführer des Kieler Studienreiseanbieters Gebeco, der im März als erster großer deutscher Veranstalter das CSR-Siegel erhielt: "Die Kunden sind nicht bereit, für nachhaltigen Urlaub mehr Geld auszugeben. Bei gleichwertigen Angeboten entscheidet sich der Kunde aber eher für das, was nachhaltig ist."

Und weil das so ist, ist Öko-Marketing immer auch Marketing, von Kritikern Green Washing genannt. Der Vorwurf: Die Reiseunternehmen nehmen verstärkt nachhaltige Angebote in ihre Produktpalette auf und geben dem ganzen Unternehmen damit einen grünen Anstrich. "Das ist vergleichbar mit einem Discounter, der irgendwo auch eine Öko-Ecke hat", sagt Johannes Reißland. Echte Nachhaltigkeit dagegen muss seiner Ansicht nach im Kerngeschäft des Veranstalters verankert sein, also dort, wo der Umsatz gemacht wird.

Von Tourismusunternehmen gerne gefördert werden Aufforstungsprojekte. Veranstalter wie Chamäleon, Miller und Colobri pflanzen seit Jahren Bäume in Regenwäldern. Seit 2010 tut das auch die Hotelgruppe Accor (Novotel, Ibis, Etap). In den Hotels wirbt Accor mit dem Slogan "Hier pflanzen Sie mit Ihren Handtüchern Bäume". Für fünf wiederverwendete Handtücher wird ein Baum gepflanzt. Bis Mitte August kamen so 180.000 Bäume zusammen. Eine stattliche Summe.

Doch nicht immer ist dem Kunden klar, was bei solchen Projekten am Ende wirklich herauskommt. "Für den Umweltschutz sind diese Maßnahmen durchaus hilfreich", sagt Reißland. Zum Schutz des Klimas dagegen taugen sie wenig. Was ist nachhaltiger: Wanderurlaub im Bayerischen Wald oder Gorillas in Uganda beobachten. Für Reiseunternehmen, die CSR-zertifiziert werden wollen, ist die Antwort gar nicht so einfach. Sie müssen sich an ökologische Vorgaben halten, und dazu gehört unter anderem das Verhältnis zwischen Urlaubslänge, Reisezeit und Entfernung. So sind zum Beispiel Flüge erst ab 700 Kilometer Distanz "erlaubt" und müssen im Verhältnis zur Aufenthaltsdauer stehen.

"Da Nachhaltigkeit die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte gleichberechtigt berücksichtigt, wäre es zu einseitig, nur die Umwelt zu betrachten", sagt Reißland. "Auch der ökonomische Aspekt ist bei Fernreisen besonders wichtig, deshalb raten wir auch nicht prinzipiell von Fernreisen ab." Grundsätzlich heißt das also: Tourismus ist dann nachhaltig, wenn er die Natur nicht zerstört, sondern ermöglicht, sie intakt zu halten. Und wenn er gleichzeitig den Menschen vor Ort zugute kommt. Im Fall von Entwicklungsländern bedeutet das, möglichst viel Geld bei der einheimischen Bevölkerung auszugeben. Denn, ob man sich das wünscht oder nicht, gerade in diesen Ländern ist man als Tourist in erster Linie eines: eine ökonomische Ressource.

Quelle: Spiegel Online / Fabian von Poser, SRT

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