Donnerstag, 17. November 2011

Mehr Hitze - mehr Hochwasser


Dürren, Stürme, Fluten: Extremes Wetter gilt als schlimmste Folge des Klimawandels. Ein am Freitag erscheinender Uno-Report analysiert, mit welchen Katastrophen die Menschheit künftig rechnen muss. Die wesentlichen Daten hat SPIEGEL ONLINE vorab bekommen - sie zeichnen ein widersprüchliches Bild.

Es ist ein Geheimprojekt, bis zuletzt. Seit dreieinhalb Jahren arbeiten Wissenschaftler im Auftrag der Vereinten Nationen (Uno) an einem Bericht, der zeigen soll, wie sich extremes Wetter im Zuge der Erwärmung verändern könnte. Extremwetter wie Dürren oder Stürme gelten als größte Gefahr eines menschengemachten Klimawandels. Jetzt ist der Report fertig, wie Spiegel Online enthüllt. Er enthält das Ergebnis Tausender Klimastudien. Doch erst, wenn Regierungsvertreter der Weltgemeinschaft die bibeldicke Studiensammlung am Freitag auf einem Treffen in Ugandas Hauptstadt Kampala genehmigt haben, wird das Werk veröffentlicht - samt einem Resümee des Uno-Klimarates (IPCC), das Politiker derzeit in Kampala verfassen. Beteiligte Forscher sind zum Schweigen verdonnert.

SPIEGEL ONLINE hat wesentliche Ergebnisse des Reports vorab erhalten: Die Resultate sind teils alarmierend, oft widersprüchlich - und meist schwierig zu deuten. Zwar ist bewiesen, dass der Mensch mit seinen Abgasen das Klima erwärmt. Doch wenn es um Extremwetter geht, übt sich der Weltklimarat in Zurückhaltung: Nur wenige Prognosen zu dem Thema werden vom IPCC mit hoher Vertrauenswürdigkeit bewertet - die Unsicherheiten im Klimasystem seien zu groß, heißt es.

Es könne Jahrzehnte dauern, bis sich das neue Klima bemerkbar mache, erklären die IPCC-Forscher. Denn bei allen natürlichen Klimaschwankungen fällt es meist erst spät auf, wenn Extreme häufiger werden. Die Komplexität des Themas erschwert die Verhandlungen für einen Weltklima-Vertrag, die Ende November auf einer Uno-Konferenz in Südafrika in eine neue Runde gehen: Skeptiker können sich allen drohenden Katastrophen zum Trotz weiterhin auf große Unsicherheiten bei den Vorhersagen berufen.

Dabei sind manche Ergebnisse des neuen Reports alarmierend. Folgende Wetteränderungen sind demnach so gut wie sicher zu erwarten, sofern der Ausstoß der Treibhausgase nicht drastisch eingeschränkt wird:

  • Die rasante Zunahme von Treibhausgasen werde die Welt weiter aufheizen; extreme Hitzewellen werden mithin häufiger und Frostperioden seltener.
  • Sturmfluten werden gefährlicher, denn die Erwärmung wird den Meeresspiegel weiter steigen lassen, weil Gletscher schmelzen und das Wasser sich im Zuge der Erwärmung ausdehnt.
  • Auch Sturzregen prasselt wahrscheinlich vielerorts häufiger vom Himmel, resümiert der IPCC: Warme Luft speichert mehr Feuchtigkeit - prallen Luftmassen aufeinander, regnet es.
  • Die Zunahme der Weltbevölkerung erhöhe die Anfälligkeit für Wettergefahren.

Andere Prognosen erscheinen den Experten zu unsicher, um sie mit "wahrscheinlich" zu bewerten. Zwar gibt es auch für die folgenden Extremwetter-Ereignisse Studien, die auf zunehmende Häufigkeit hindeuten - aber eben auch Arbeiten, die das Gegenteil prophezeien. Möglicherweise häufiger werden dem IPCC-Bericht zufolge diese Wetterextreme:

  • Dürren: Wärmere Luft lässt zunehmend Wasser aus den Böden verdunsten, wodurch sich in manchen Regionen, etwa am Mittelmeer, weniger Regenwolken bilden könnten. Vor allem jedoch bestimmt Wasserdampf aus den Ozeanen die Regenmenge - weshalb Vorhersagen über Dürren unsicher sind.
  • Tropische Wirbelstürme könnten stärker, aber seltener werden, zeigen viele Berechnungen: Zwar treibt wärmeres Meerwasser die Zyklone an, Gegenwinde und Staubstürme bremsen sie jedoch.
  • Flusshochwasser: Ihre Häufigkeit richtet sich nicht nur nach Starkregen, sondern auch nach der Geologie der Landschaft, der Flussstruktur und der täglichen Regenmenge - die Variablen erschweren die Prognose.
  • Stürme: Die Erwärmung der Polarregionen könnte Luftdruck-Gegensätze mildern - und Stürme schwächen. Größere Wärmeenergie könnte die Winde aber auch anfachen.
  • Waldbrände: Ihre Häufigkeit richtet sich nicht nur nach Trockenheitsphasen, sondern auch nach Winterniederschlägen, der Art der Vegetation - und vor allem nach der Zahl künstlich gelegter Brände.

Für die menschliche Gesundheit ergeben sich den IPCC-Forschern zufolge aufgrund des zunehmenden Extremwetters möglicherweise erhöhte Risiken:

  • Die Verletzungsgefahr durch Naturkatastrophen steigt mancherorts,
  • vermehrte Überschwemmungen könnten Seuchen fördern,
  • Hitzeperioden mehren Kreislauferkrankungen,
  • Ernteausfälle könnten mancherorts Hungerkrisen verschärfen (andernorts sei gleichwohl erhöhte Ernte zu erwarten),
  • Allergene Pollen könnten häufiger auftreten,

Der IPCC fordert einen besseren Schutz gegen Extremereignisse:

  • Hochwasserschutz an Küsten und Flüssen sollte verstärkt werden,
  • Städte müssten sich gegen Hitze wappnen,
  • Drainage der Böden sollte verbessert werden,
  • Die Wasserversorgung müsste sichergestellt werden.

Der Uno-Report ist das Ergebnis eines harten Auslese-Prozesses, der auf einem Wissenschaftlertreffen im März 2008 in Oslo gestartet wurde. Dort rief ein Zirkel von Klimaexperten die internationale Forschergemeinde zur Mitarbeit auf. Daraufhin meldeten sich 375 Wissenschaftler. 117 von ihnen wurden im Juli 2009 vom Weltklimarat IPCC ausgewählt, an dem Report mitzuarbeiten. Neun Themen-Kapitel entstanden, pro Kapitel gingen rund 2000 Kommentare ein, die von den Leitautoren bewertet wurden. Im Juli 2011 schließlich lag der erste Entwurf des Berichts vor. Er zeigte bereits, wie schwer es ist, Wetterextreme zu prognostizieren.

Das Hauptproblem ist die Seltenheit extremer Ereignisse, also der Mangel an Daten - er erschwert schon die Bestandsaufnahme: Eine große Menge an Daten ist nötig, um überhaupt zu ermitteln, ob der zunehmende Treibhauseffekt bereits in den vergangenen Jahrzehnten die Häufigkeit von Wetterextremen verändert hat - Vorhersagen sind ungleich komplizierter.

Für ihre Diagnosen stützen sich Klimaforscher auf Computersimulationen: Tausendfach spielen sie zwei Abläufe durch: Einerseits simulieren sie das von Treibhausgasen erwärmte Klima, andererseits ein Klima ohne menschengemachte Abgase. Dann schauen sie, wie sich Extremwetter in beiden Fällen verändert. Für manche Ereignisse meinen Wissenschaftler aber mittlerweile beweisen zu können, dass die menschengemachte Erwärmung eine Zunahme bewirkt hat: Im Frühjahr 2011 berichteten Forscher, dass die Erderwärmung wahrscheinlich zu mehr Starkregenfällen auf der Nordhalbkugel geführt hat. Außerdem glaubten sie, belegen zu können, dass Hochwasserfluten speziell in Großbritannien auf den verstärkten Treibhauseffekt zurückzuführen sind. Auch die Hitzewelle in Europa im Sommer 2003 und jene im Westen Russlands 2010, die zu extremen Waldbränden geführt hat, lasten Experten dem Klimawandel an.

Andere Studien aus diesem Jahr ergaben keine Zunahme von Wetterextremen: Winterstürme auf der Nordhalbkugel seien eher weniger geworden, berichteten Forscher im Fachmagazin "Tellus". Gleiches gelte für Flusshochwasser in Nordamerika: Dass Flüsse in den USA vom menschengemachten Klimawandel beeinflusst würden, lasse sich nicht feststellen, resümierte im Oktober der Geologische Dienst der USA.

Aufgrund der Unsicherheit seiner Schlussfolgerungen, stürzt der neue Uno-Report die Klimaforschung in ein Dilemma, das der Philosoph Silvio Funtowicz bereits 1990 vorausgesehen hat: Die Klimaforschung gehöre zu den "postnormalen Wissenschaften". Aufgrund ihrer Komplexität unterliege sie großen Unsicherheiten, behandle jedoch gleichzeitig ein hohes Gefahrenpotential. Politiker und Öffentlichkeit müssten lernen, Entscheidungen auf solcher Grundlage zu treffen. In zwei Wochen beginnt der Welt-Klimagipfel in Südafrika.

Quelle: Spiegel Online / Axel Bojanowski

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